Gebietsreform, Leitlinien und Gesetzgebung

Zum Verhältnis von Regierungs-Leitlinien und Gesetzgebung in
Brandenburg bei der Konkretisierung der Gründe des öffentlichen Wohls für gesetzliche Gebietsänderungen gegen
den Willen von Gemeinden

Stefan Sarrach
Kommunalpolitischer Sprecher der PDS-Landtagsfraktion

Rede auf dem Kommunalpolitischen Tag des
kommunalpolitischen forum Land Brandenburg e.V.
am 7.7.2001 in Wandlitz

 
kommunal aktuell
3-2001
 

Juli 2001


Vorbemerkung

Welche Verbindlichkeit haben die Regierungs-Leitlinien vom 11.7.2000 in der sog. "Freiwilligkeitsphase" für die Gemeinden und welche Verbindlichkeit haben sie für den Gesetzgeber nach Abschluss der "Freiwilligkeitsphase"?

Keine anderen Fragen haben wohl im Zusammenhang mit der Gemeindegebietsreform in Brandenburg und deren bisherigen parlamentarischen Beratung im Landtag und auf Veranstaltungen vor Ort so viel Interesse erregt wie diese.

Insbesondere mit der Verabschiedung des Gemeindereformgesetzes am 28.2.2001 - im vollen Wortlaut " Gesetz zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg" - ist die Frage nach dem Verhältnis von Leitlinien zu dem Gemeindereformgesetz für die PDS-Landtagsfraktion von zentraler Bedeutung für die politische Auseinandersetzung gewesen.

Dass nunmehr auch die Regierung in Veröffentlichungen diese Problematik aufgreift, ist folgerichtig und darauf zurückzuführen.

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Die Rechtsqualität der Leitlinien

Von welcher rechtlichen Qualität sind die Leitlinien der Landesregierung vom 11.7.2000?

Die Leitlinien sind zunächst selber kein Gesetz im formellen Sinne und auch sonst nicht als Rechtsverord-nung, Erlass u.ä. zu qualifizieren.

Daher wurden sie als Beschluss der Landesregierung nicht im Gesetz- und Verordnungsblatt oder im Amtsblatt für das Land Brandenburg veröffentlicht, sondern als Druckschrift im Rahmen der Öffentlichkeits-arbeit der Landesregierung ("Blaue Broschüre") herausgegeben, in "Brandenburg Kommunal", Heft 32 vom Juli/August 2001 abgedruckt und im Internet unter www.starke-gemeinden.de veröffentlicht.

In der Begründung des Kabinettbeschlusses vom 11.7.2000 werden die Leitlinien als das Konzept zu einer Gemeindereform dargestellt, zu dessen Erarbeitung der Landtag am 24.11.1999 die Landesregie-rung mit einer Entschließung aufforderte (Drucksache 3/195-B), wobei auch die Ergebnisse der Enquete-kommission "Gemeindegebietsreform" vom April 1999 Berücksichtigung finden sollten.

Vorangegangen war die Einigung der Koalitionsparteien SPD und CDU auf dieses Reformvorhaben (Koali-tionsvereinbarung), so dass Ministerpräsident Stolpe in seiner Regierungserklärung im November 1999 schon das Vorhaben der Schaffung leistungsfähigerer Strukturen auf der gemeindlichen Ebene ankündigen konnte.

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Außen- und Innenwirkung der Leitlinien

Nach Aussage des Ministerium des Innern (MI) seien die einstimmig im Kabinett beschlossenen Leitlinien der Orientierungsrahmen für die freiwillige Phase der Gemeindestrukturreform, entfalten also Außen-wirkung, weil vor Ort die vorgegebenen Gemeindemodelle beraten und diskutiert werden sollen.

Quasi in einem Nebensatz der neuesten Broschüre des MI "Das neue Gemeindereformgesetz" ("Dunkelrote Broschüre") heißt es auf Seite 7 auch, dass sie die Verwaltung gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz und Art. 12 Abs. 1 der Landesverfassung bei der Frage binde, ob ein Gemeindezusammenschluss genehmigt werden kann.

Das ist die Innenwirkung der Leitlinien, die nach Abschluss der Freiwilligkeitsphase dazu führen wird, dass im Falle von nicht leitbildgerechten "freiwilligem" Verhalten dem Landtag leitbildgerechte Vorschläge zugeleitet werden müssen.

Damit haben sie aber als erstes und hauptsächlich eine bindende Wirkung für das Handeln der Verwal-tung des MI und alle anderen Verwaltungen, die in diesem Bereich tätig sind.

Die Schulverwaltung bspw. hat darauf zu achten, dass sie keine Beschlüsse entgegen den Leitlinien verfasst, also keine Schulstandorte oder Schulbezirke beschließt, die dem nicht entsprechen würden (so die Erläuterung im Innenausschuss des Landtages).

Das MI ist davon überzeugt, dass dann auch der Gesetzgeber, der Landtag, an die Leitlinien gebunden sei, weil auch er aus Gründen der Systemgerechtigkeit und letztlich auch vor dem Hintergrund des von ihm beschlossenen Gemeindereformgesetzes, dem die Leitlinien zugrunde liegen, nicht ohne weiteres von den Festlegungen abweichen könne.

Diese Behauptung soll im folgenden untersucht und widerlegt werden.

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"Bindungswirkung" der Leitlinien und das Gemeindereformgesetz

Wenn ich es mir einfach machen wollte, würde hierzu schon ein Zitat des Abg. Schulze (SPD), Vorsitzender des Innenausschusses des Landtages, aus der Debatte am 28.2.2001 genügen. Er sagte, die Leitlinien der Landesregierung seien ein unscharfes Bild und wir sind jetzt bei einer scharfen Gesetzgebung.
Diese Äußerung ist erfolgt, als ich ihn damit konfrontierte, dass sich z.B. das Vetorecht des Ortsbürger-meisters zwar in den Leitlinien, aber nicht mehr im Gemeindereformgesetz wiederzufinden sei.

Wieder ernsthaft gesprochen, gibt es sogar Gründe, weshalb Leitlinien und Gemeindereformgesetz inhaltlich voneinander abweichen.

In Umsetzung der von der Landesregierung beschlossenen Reform sollten kommunalrechtliche Vorschriften novelliert werden, um freiwillige Gemeindezusammenschlüsse zu fördern.

Das betraf vor allem die Ortsteilverfassung, Personalüberleitungsvorschriften und Änderungen im Kommunalwahlrecht hinsichtlich der Wahlkreiseinteilung.

Ausweislich der amtlichen Begründung hatte der Gesetzentwurf für ein Gemeindereformgesetz der Umsetz-ung der Ziele des Leitbildes der Regierung zu dienen und rechtliche Hemmnisse bei der Umsetzung der Regierungsleitlinien zu beseitigen.

Damit hat der Landtag jedoch lediglich die grundsätzliche Zielvorstellung der Landesregierung übernom-men, eine umfassende kommunale Neugliederungsmaßnahme (Gemeindestrukturreform) als solche durchzuführen.

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Wann bindet sich der Gesetzgeber selber?

Reicht nun dieses hineinformulierte Bekenntnis in der Begründung des Gemeindereformgesetzes aus, um den Gesetzgeber unterstellen zu können, dass er sich mit allen Inhalten des Leitbildes und der Leit-linien der Gemeindestrukturreform identifiziert und sie zu seinen eigenen Gemeinwohlerwägungen gemacht hat?

Reicht es aus, dass der Landtag auf Antrag der Koalitionsfraktionen am 20. September 2000 die Leitlinien lediglich zur Kenntnis genommen hat und mehrheitlich beschloss, die Leitlinien als tragfähige Basis für die Schaffung leistungsfähiger Strukturen für bürgernahe, professionelle und effiziente Kommunalverwaltungen zu betrachten, die dem Leitbild der kommunalen Selbstverwaltung nach der Verfassung und den Ansprüchen der Bürger des Landes Brandenburg entsprechen?

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Gesetzgebung und verfassungsgerichtliche Kontrolle

Damit komme ich zur Erörterung von verfassungsrechtlich relevanten Fragen, insbesondere zur Kontroll-dichte des Landesverfassungsgerichts bei der Überprüfung von gesetzgeberischen Maßnahmen der Gebietsreform, da erst daraus eine mögliche Bindung des Gesetzgebers an Leitlinien aus Gründen der Systemgerechtigkeit erklärt werden kann.

Es gibt eine Vielzahl von verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung der Länderverfassungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts aufgrund der umfassenden Gebietsreformen in der alten Bundesrepublik in den 60er und 70er Jahren.

Die einzelnen Landesverfassungsgerichte haben dabei stark differenzierte Maßstäbe angewandt und entwickelt, um die materiellen Voraussetzungen einer Gebietsreformmaßnahme prüfen und verfassungs-rechtlich bewerten zu können.

Auf die formellen Voraussetzungen der ordnungsgemäßen Anhörung der Gemeinde vor ihrer Auflösung soll hier nicht näher eingegangen werden.

Eine Prognose, nach welchen Maßstäben und Kriterien das Landesverfassungsgericht Brandenburg entscheiden würde, ist daher schwierig zu äußern, da die bisherigen Entscheidungen zur Kreisgebietsre-form 1992/93 und zur Gemeinde Horno andere rechtliche Zusammenhänge betrafen.

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Gründe des öffentlichen Wohls und Selbstbindung des Gesetzgebers

Die Auflösung einer Gemeinde gegen deren Willen kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohls gerechtfertigt sein. So steht es in der Verfassung.

Der Begriff des öffentlichen Wohls ist dabei ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspiel-raum.

Gründe des öffentlichen Wohls sind alle Interessen der Allgemeinheit an der Grenzände-rung, die den unveränderten Bestand der Grenzen überwiegen.

Aus dem Verfassungsrecht können z.B. folgende Gründe des öffentlichen Wohls abgeleitet werden (nach Alfons Gern, Deutsches Kommunalrecht, 1997, Rdnr. 201 ff.):

-
die Stärkung der kommunalen Leistungs- und Verwaltungskraft
-
die Schaffung einer einheitlichen Lebens- und Umweltqualität
-
der Abbau des Leistungs- und Ausstattungsgefälles zwischen Verdichtungsraum und dünn besiedelten Gebieten
-
die Steigerung der Wirtschaftlichkeit der Kommunalverwaltung
-
die Wahrung der örtlichen Verbundenheit der Einwohner
-
die Schaffung von Bürgernähe der Verwaltung
-
die Stärkung der gesamtstaatlichen Einbindung der Kommunen zur Förderung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung.

Somit handelt es sich bei reformerischen Regelungen wie diesen um planerische Entscheidungen.

Aus rechtsstaatlichen Anforderungen kann es kein freies gesetzgeberisches Ermessen geben.

Vielmehr muss sich diese Planungsentscheidung zunächst nach Zielen, Leitbildern und Maßstäben richten, die der Gesetzgeber sich selbst gesetzt hat.

Aus einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung, ob der Gesetzgeber den für seine Regelung erheblichen Sachverhalt ermittelt und dem Gesetz zugrunde gelegt hat und ob er die im konkreten Fall angesprochenen Gemeinwohlgründe sowie die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung in die vorzunehmende Abwägung eingestellt hat, ergibt sich natürlich eine nur beschränkte gerichtliche Kontrolle.

Noch einmal auf den Punkt gebracht, dass Verfassungsgericht kann also nachprüfen, ob der Gesetzgeber der Gebietsreform selber ein System zugrundegelegt hat. Ob dieses System verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht und ob Abweichungen von diesem System mit Blick auf den Gleichheitssatz durch sachliche Gründe gerechtfertigt sind.

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Gibt es ein gesetzgeberisches System der Gebietsreform?

Hat nun der Gesetzgeber in Brandenburg schon ein solches System der Gebietsreform selber aufgestellt und beschlossen?

Nein, der Landtag hat bspw. am 28.2.2001 den von der PDS-Fraktion eingebrachten Gesetzentwurf über die Grundsätze der Gemeindegebietsreform als ein Vorschlag für ein System der Gebietsreform abgelehnt.

In diesem Entwurf sollte der Landtag durch Gesetz die Gründe des öffentlichen Wohls für Gemeindeauf-lösungen konkretisieren und ein gesetzliches Leitbild der Gebietsreform aufstellen.

Leitbild heißt in diesem Zusammenhang, grundlegende Aussagen zur Struktur der örtlichen Verwal-tungseinheiten zu treffen, also zu der Leistungsfähigkeit einer Gemeinde allein oder in Kooperation mit anderen (Klein-)Gemeinden (z.B. im Amt), zur Einheit und Fortführung von Gebiets- und Funktional--reform, zum Prinzip der Freiwilligkeit unter Verzicht auf gesetzliche Zwangsneugliederungen bis 2004, zur Bestimmung der Modelle örtlicher Verwaltungseinheiten (amtsangehörige Gemeinde, amtsfreie Ge-meinde, Amt, zweistufige Gemeinde) als gleichzeitiger Verzicht auf eine flächendeckende Gemeindege-bietsreform mit nur einem Modell der Einheitsgemeinde.

Weiter ging es im PDS-Gesetzentwurf um die Bestimmung gesetzlicher Leitlinien der Reform, also um diejenigen Gesichtspunkte, die dazu dienen, die leitbildgerechten örtlichen Verwaltungseinheiten zu bilden und damit die Entscheidung des Gesetzgebers für jeden Einzelfall zu lenken, quasi das System zur Um-setzung der Zielvorstellungen im Sinne einer Selbstbindung des Gesetzgebers zu schaffen.

Dazu ist es - außer unter Bezugnahme auf die Regierungs-Leitlinien in der amtlichen Begründung des Gemeindereformgesetzes - (noch) nicht gekommen.

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Charakterisierung und Bewertung des Gemeindereformgesetzes

Vielmehr ist festzustellen:

1.

Das Gemeindereformgesetz novelliert (nur) kommunalrechtliche Vorschriften zwecks weiterer Erleich-terung freiwilliger Zusammenschlüsse. Etwas vergleichbares hat es 1998 mit dem Gesetz zur För-derung freiwilliger Gemeindezusammenschlüsse und der damaligen Novellierung von Gemeindeordnung und Amtsordnung schon einmal gegeben.

2.

Das Gemeindereformgesetz ist daher wohl noch der ersten von drei Stufen der gesetzgeberischen Ent-scheidungen bei umfassenderen Gemeindegebietsreform zuzuordnen. Nämlich jener Stufe des erneu-ten Entschlusses, eine grundlegende Umgestaltung der kommunalen Struktur vorzunehmen und hierfür die Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden als Zielvorstellung und Allgemeinwohl zu bestimmen. Auf allen Stufen muss der Gesetzgeber nach der neueren Rechtsprechung der Verfas-sungsgerichte in Thüringen und Sachsen die Allgemeinwohlgründe konkretisieren und kann das Ver-fassungsgericht diese Konkretisierung mit zunehmender Kontrolldichte prüfen (1. Stufe: Entschluss zu einer Gebietsreform, 2. Stufe: Bestimmung von Leitbild und Leitlinien als System, 3. Stufe: Neugliederung einzelner Gemeinde nach diesem System).

3.

Im Verhältnis von Regierungs-Leitlinien zum Gemeindereformgesetz gibt es Widersprüchlich-keiten, weil teilweise Inhalte der Leitlinien in das Gesetz eingeflossen sind (z.B. die weitere Ausge-staltung der Ortsteilverfassung oder die Begrenzung der Zahl der Gemeinden je Amt und die Mindest-einwohnersollzahl von 500 je rechtlich selbständiger Gemeinde in der Amtsordnung). Andererseits sind das Budgetrecht des Ortsbeirates und das Vetorecht des Ortsbürgermeisters/ Ortsbeirates anders und schlechter geregelt worden.

4.

Die Kriterien der Leitlinien, also wann ein Amt in eine amtsfreie Gemeinde (Einheitsgemeinde) um-gewandelt werden soll bzw. sich bei Fortbestehen nicht leitliniengerecht verhält und somit alle kniffligen und uns umtreibende Fragen wie Amt im engeren Verflechtungsraum Berlin-Brandenburg, Einwohner-zahl des Amtes unter 5.000 Einwohner, Amt mit Grundzentrum mit Teilfunktion eines Mittelzentrums, sind nicht in das Gemeindereformgesetz aufgenommen worden, nicht einmal in die amtliche Begrün-dung. In abgeschwächter Form gilt dies auch für die Stadt-Umland-Problematik. In § 3 Abs. 2 der Amtsordnung ist durch das Gemeindereformgesetz eine Hinwirkungsbestimmung für das MI aufgenom-men worden, amtsfreie zentrale Orte zu stärken, also sog. Kragenämter aufzulösen. Gleichzeitig fehlen die Kriterien der Leitlinien, unter welchen Umständen eine Eingliederung von Umlandgemeinden in Be-tracht kommen kann (bspw. enge bauliche Verflechtung, Flächenbedarf u.ä.).

5.

Schlussfolgernd heißt das, dass der Gesetzgeber erst noch, spätestens wenn er die konkreten Neu-gliederungsgesetze 2002 berät, dieses System von Leitbild und Leitlinien der Reform aufstellen und in seine Gesetze hineinschreiben muss, weil es bislang unterblieben ist.

Letzteres mag für die verfassungsgerichtliche Prüfung von Neugliederungsmaßnahmen weniger von Belang sein, da teilweise Verfassungsgerichte auch schon Bezugnahmen in Gesetzen auf Regierungs-Leitlinien für ausreichend erachteten oder erst gar nicht das gesetzgeberische System der Reform prüfen wollten, gar in Abrede stellten, dass es solche Systeme gäbe oder Leitbild und konkrete Neugliederung unbeanstandet in einem Gesetz zusammenfallen ließen.

Doch für die Frage der unterstellten Bindung des Gesetzgebers an Nichtgenehmigungsentscheidungen des MI wegen nicht leitbildgerechten Verhaltens eines bspw. berlinnahen Amtes nach Abschluss der sog. "Freiwilligkeitsphase" ist es schon entscheidend.

Aus Gründen der Systemgerechtigkeit gibt es noch keine Bindung bzw. Selbstbindung des brandenburgischen Landtages.

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Gemeindliche Rechtschutzmöglichkeiten . . .

Sind deswegen das Gemeindereformgesetz, die Leitlinien oder künftige Neugliederungsgesetze allein oder erst in der Summe angreifbar?

Das scheint eben zum jetzigen Zeitpunkt das Dilemma der gemeindlichen Rechtsschutzmöglich-
keiten
zu sein, denn vermutlich gibt es nur wenige argumentative Angriffspunkte, was die einzelnen Maßnahmen Leitlinien, Gemeindereformgesetz und etwaige Neugliederungsgesetze betrifft.

Doch in der Summe aller Maßnahmen, wo ihnen allen unterstellt wird, sie seien ein aufeinander abgestimmtes System, ohne dies jedoch tatsächlich zu sein, kann sich die verfassungsrechtliche Bewertung anders darstellen.

Allerdings kann diese komplexe Bewertung erst vorgenommen werden, wenn Gemeinden 2002 gegen ein sie auflösendes Gesetz vor das Verfassungsgericht gezogen sind.

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. . . gegen die Leitlinien

Bis dahin müssen sich Gemeinden mit dem MI über die Anwendung der Leitlinien vor den Verwal-
tungsgerichten
streiten, wenn z.B. eine Gemeinde auf die Erteilung der Genehmigung klagt, weil sie
sich mit einer Nachbargemeinde zusammenschließen will, aber der Zusammenschluss vom MI nicht als leitliniengerecht angesehen wird (Beispiel des MI).

Denkbar ist aber auch eine Auseinandersetzung mit dem MI, wenn ein Amt ansonsten leitliniengerecht besteht, aber im Verflechtungsraum um Berlin liegt, keine Anstalten machte, sich zusammenzuschlies-sen und als Amt aufgelöst werden soll.

Da vielfach in diesen Ämtern Anträge an das MI auf Bestand und Fortführung als Amt gestellt wurden und das MI diese Anträge ablehnen wird, kommt auch hier der Verwaltungsrechtsweg in Betracht.

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. . . gegen das Gemeindereformgesetz

Das Gemeindereformgesetz für sich allein betrachtet, könnte zwar von der PDS-Landtagsfraktion mittels einer abstrakten Normenkontrolle vor dem Verfassungsgericht überprüft werden, aber hierzu gibt es keinen abschließenden diskutierten Standpunkt der Fraktion.

Unrichtigen Pressedarstellungen ist aber entschieden entgegenzutreten, wonach die PDS-Fraktion mit einem Antrag gegen das Gemeindereformgesetz schon einmal vor dem Verfassungsgericht gescheitert sei.

Dabei ging es um die Frage, ob das Gesetz im Februar 2001 ohne ausreichende Beratung des Landtages von der Mehrheit "durchgepeitscht" werden durfte.

Das Verfassungsgericht Brandenburg sah die Rechte der parlamentarischen Opposition durch dieses Verfahren nicht verletzt und lehnte die Vertagung der Beratung des Gesetzes auf einen späteren Zeitpunkt als unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache ab.

Inhaltlich hat sich das Gericht nicht mit dem Gemeindereformgesetz auseinandergesetzt.

Beachtung und Unterstützung verdient die kommunale Verfassungsbeschwerde der Stadt Teupitz gegen den Teilaspekt des Gesetzes der Übertragung der Flächennutzungsplanung als vorbereitende Bauleitplanung von der Gemeinde auf das Amt.

Es geht dabei nicht nur um die Fortschreibung einer Praxis des Gesetzgebers, die mit der Brandschutz-
entscheidung
des Landesverfassungsgerichtes gerade noch für gesetzeskonform angesehen wurde.

Nicht nur die Aufgabe des Brandschutzes als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung und der Flächennutzungsplanung als Pflichtige Selbstverwaltungsangelegenheit und damit die Intensität des Eingriffs in den Kernbestand der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie durch Aufgabenentzug unter-scheiden sich.

Auch der rechtliche Charakter des Amtes als eine Bundkörperschaft, die demokratische Legiti-
mationsdefizite
hat wegen der fehlenden Volksvertretung, dem nicht direkt gewählten Hauptverwal-
tungsbeamten und die nicht am kommunalen Finanzausgleich teilnimmt, gebietet derzeit keine weitere Aufgabenübertragung.

Wie schon von der Enquetekommission "Gemeindegebietsreform" herausgearbeitet, muss das Amt strukturell und rechtlich fortentwickelt werden.

Bspw. die zweistufigen Gemeindemodelle Samtgemeinde und Verbandsgemeinde in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben als eigene Selbstverwaltungsaufgaben den Brandschutz, die Flächennutzungspla-nung und die eigene Schulträgerschaft gesetzlich zugewiesen bekommen.

Zwei dieser drei Aufgaben sind nun auch schon auf das Amt in Brandenburg gesetzlich übertragen worden. Das ist verfassungsrechtlich bedenklich und schafft durch die Hintertür eine zweistufige Gemeinde, ohne dass das Amt Gemeindequalität hat.

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. . . gegen künftige Neugliederungsgesetze

Künftige Gesetze müssen mit Vorsicht bewertet werden, es gibt sie schließlich noch nicht. Wie der Gesetzgeber, sprich die Mehrheitsfraktionen sich künftig verhalten werden, also ob ohne Not Leitlinien-Vorgaben des MI eins zu eins in Gesetze übernommen werden, kann zwar erfahrungsgemäß unterstellt werden, zwingend rechtlich geboten ist es nicht.

Nur vor solchen "Bauchentscheidungen" können sich Oppositionsabgeordnete der PDS (und betroffene Gemeinden) nicht im Landtag, sondern nur vor dem Verfassungsgericht schützen.

Dann steht den betroffenen Gemeinden die kommunale Verfassungsbeschwerde direkt zum Landes-verfassungsgericht als Rechtsbehelf zu.

Spätestens jetzt kommt die Nagelprobe, ob das Verfassungsgericht Brandenburg ebenso wie die Gerichte in Sachsen und Thüringen das Erfordernis der Gemeinwohlkonkretisierung durch den Gesetzgeber selber und auf allen Ebenen der Gebietsreform in den Mittelpunkt der Überprüfung stellt.

Davon gehe ich aus.
Abschließend möchte ich den Kommunalrechtler Knemeyer zitieren, der dem Gesetzgeber mit auf dem Weg gibt (LKV 1992, S. 314):

"Verfehlt wäre es allerdings, von der relativ geringen Kontrolldichte auf geringe Handlungsanforderungen an den Gesetzgeber zu schließen. Die geringe Kontrolldichte kann nicht zugleich den Rahmen für die gesetzgeberischen Handlungen bei Gebietsreformmaßnahmen bilden. Kontrolldichte und Handlungsauftrag des Gesetzgebers fallen berechtigterweise auseinander. Ein Gesetzgeber, der von vornherein nur auf die Vermeidung von Willkür schaut, handelt rechtswidrig."

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